Klosterkammer zur NS-Zeit
Das Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz Universität Hannover hat die Geschichte der Klosterkammer Hannover und der ihr verbundenen Einrichtungen zur Zeit des Nationalsozialismus zwischen 2015 und 2018 wissenschaftlich untersucht. Die VolkswagenStiftung und die Klosterkammer förderten dieses Forschungsprojekt.
In einer öffentlichen Tagung und zusammenfassend in einer Abendveranstaltung präsentierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am 28. November 2018 ihre Ergebnisse in der Volkshochschule Hannover der Öffentlichkeit.
Zentrale Ergebnisse sind, dass der Alltag wie in anderen Mittelbehörden durch und durch nazifiziert gewesen ist und viele der leitenden Beamten Mitglieder der NSDAP waren. In der Land- und Forstwirtschaft ist der Einsatz von insgesamt rund 1.000 Zwangsarbeitern belegt worden. Die wissenschaftliche Untersuchung konnte die insbesondere von dem ehemaligen Präsidenten Albrecht Stalmann nach Kriegsende vermittelte Sichtweise widerlegen, dass die Behörde und Stiftungsverwaltung dem Einfluss des Regimes widerstanden habe und deshalb ihr Vermögen weitgehend unbeschadet erhalten konnte. Grund hierfür war vielmehr die Anpassung an das System.
Die breit angelegte empirische Forschung analysierte die Verwaltungspraxis der Klosterkammer Hannover und das Handeln ihres von 1931 bis 1955 amtierenden Präsidenten Albrecht Stalmann sowie der Beschäftigten auf der Grundlage zahlreicher Akten. Des Weiteren untersuchte das Forscherteam, welche Gestaltungsspielräume der Behörde und ihrer Mitarbeiter im Verhältnis zu anderen Dienststellen bestanden haben und wie diese genutzt wurden. Themen waren weiterhin der Einsatz von Zwangsarbeitern auf den landwirtschaftlichen Flächen und in den Forsten sowie die Klosterkammer und die Entnazifizierung nach 1945.
Das Forschungsvorhaben leitete Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann, Direktor des Instituts für Didaktik der Demokratie (IDD). Ein wissenschaftlicher Beirat begleitete die Arbeit, ihm gehörten die Professoren Michele Barricelli, Carl-Hans Hauptmeyer (Beiratsvorsitzender), Hans Otte und Thomas Schaarschmidt (stellvertretender Beiratsvorsitzender) an. Nachzulesen sind die Forschungsergebnisse in der Publikation „Die Klosterkammer Hannover 1931-1955 – Eine Mittelbehörde zwischen wirtschaftlicher Rationalität und Politisierung“, erschienen im Wallstein-Verlag und im Buchhandel erhältlich.
Wissenschaftliche Tagung und Abendveranstaltung mit Podiumsdiskussionen
Die öffentliche Präsentation der Forschungsergebnisse am 28. November 2018 war zweigeteilt: Zunächst stand die Betrachtung der wichtigsten Forschungsfragen im Mittelpunkt. Hierzu trugen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Verlauf des Tages einige ihrer Ergebnisse vor – begleitet von Kommentaren ihrer Fachkollegen sowie Diskussionsrunden mit dem Publikum. Abends schloss sich eine Veranstaltung zur Ergebnispräsentation an, die sich an eine breite Öffentlichkeit richtete.
Ein kurzer Film bot zu Beginn der Abendveranstaltung einen Überblick über das rund dreijährige Forschungsprojekt. Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, betonte in seinem Grußwort, dass es die Leistung der Wissenschaftler sei, den Sachverhalt auf komplexe, inklusive und kritische Weise aufgearbeitet zu haben. In Bezug auf die aktuelle politische Realität mit teils nationalistischen Tendenzen sagte er: „Es ist umso wichtiger, solche Studien gerade jetzt vorzustellen.“
Ein Podiumsgespräch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die unterschiedlichen Themenbereiche erarbeitet haben, moderierte Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer als Vorsitzender des Beirates. Carina Pniok stelle dabei heraus, wie überrascht die Forschenden angesichts der Materialfülle gewesen seien. Jahrzehntelag hielt sich in der Klosterkammer das Gerücht, dass ein Großteil der Akten in der Klosterkammer bei einem Brandbombenschaden 1944 verloren gegangen sei. Fündig geworden sind sie beispielsweise in der Altregistratur der Klosterkammer, im Niedersächsischen Landesarchiv, im Bundesarchiv Berlin und im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem.
Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann erläuterte, dass die Klosterkammer insgesamt trotz hoher Einnahmen während der NS-Zeit kein materieller Profiteur gewesen ist. Er sagte: „Die Überschüsse sind vom Regime abgeschöpft worden, beispielsweise, um den Krieg zu finanzieren.“ In Bezug auf den Forstbetrieb sowie die Klostergutspächter konstatierte Dr. Christian Hellwig, dass beide Bereiche von Zwangsarbeitern profitiert hätten. „In den ausgewerteten Quellen, insbesondere aus einem Forstamt, ist deutlich geworden, dass es keine Skrupel gab, diese für die schwere Arbeit im Wald einzusetzen“, so Dr. Christian Hellwig.
Das Thema der Aufarbeitung der NS-Zeit in den Calenberger und Lüneburger Frauenklöstern und ihren Konventen wird Christiane Schröder in ihrer Dissertation genauer untersuchen, die sie 2019 fertigstellen wird. In das aktuelle Buch sind einige Beispiele aus den Klöstern eingeflossen. „In einem Altenpflegeheim, das in einem der Klöster untergebracht war, sind 13 seltsame Todesfälle kurz vor Kriegsende dokumentiert“, erläuterte Christiane Schröder. Wie dieses habe sie einige mit den Klöstern in Zusammenhang stehende Beispiele untersucht, die Quellenlage sei jedoch teils sehr unzureichend.
Forschung leistet Beitrag zur Schärfung des historischen Bewusstseins
Dr. Petra Bahr, Landessuperintendentin des Sprengels Hannover, brachte als eine Vertreterin aus der Gesellschaft ihre Sichtweisen in einer zweiten Podiumsrunde ein. „Man merkt mit Blick auf die Ergebnisse, wie wichtig die Freiheit der Forschung ist“, sagte sie. Auf Grundlage der erarbeiteten Fakten könne nun weiter diskutiert werden. Der ehemalige Niedersächsische Kultusminister sowie Landtagspräsident Prof. Dr. Rolf Wernstedt konstatierte in Bezug auf die Befunde zum nazifizierten Behördenalltag sowie den bruchlosen Übergang in die Nachkriegszeit: „Qualifiziert Kritik äußern zu können, war in der deutschen Beamtenschaft schwach ausgeprägt.“ Anja Würzberg, Leiterin der Fernsehredaktion Religion und Gesellschaft des NDR, stelle einen Zusammenhang zu ihrem eigenen Handeln her: „Diese Forschungsergebnisse werfen für mich die Frage auf, an welcher Stelle bin ich selbst Opportunistin in meinem Berufsalltag?“
Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, machte deutlich, dass die vorgestellten Forschungsergebnisse einen Beitrag zur „Schärfung des historischen Bewusstseins“ leisten und betonte, dass die Beschäftigung von Zwangsarbeitern – wiewohl weit verbreitet zu der damaligen Zeit – in landwirtschaftlichen und Forst-Betrieben als ein Verbrechen zu bewerten sei.
Symbolische Reaktion: Eine Million Euro für Gedenkstättenarbeit
Nach einem Grußwort von dem Verleger Thedel von Wallmoden vom Wallstein-Verlag überreichte Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann dem Klosterkammer-Präsidenten das rund 800 Seiten starke Werk. Hans-Christian Biallas sagte: „Es macht uns betroffen, was wir heute gehört haben. Ich bitte stellvertretend für die Klosterkammer um Entschuldigung.“ Als symbolische Reaktion ist eine besondere Möglichkeit der Förderung für Gedenkstättenarbeit eingerichtet worden: Für die Jahre 2019 bis 2023 stellt die Klosterkammer jährlich 200.000 Euro zur Verfügung, die von der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten als Fördermittel vergeben werden. Hiermit werden insbesondere Vermittlungsangebote für Kinder und Jugendliche in Gedenkstätten im Fördergebiet der Klosterkammer ermöglicht. Ziel ist die Auseinandersetzung mit Verbrechen aus der Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten, damit diese auch in kommenden Generationen nicht in Vergessenheit geraten.