09.10.2024

Erinnerung an jüdisches Leben

Klosterkammer fördert Einrichtung eines Holocaust-Gedenkorts in Neuenhaus

Zwei Frauen, die von hinten zu sehen sind, schauen sich eine Ausstellung mit historischem Filmmaterial und Fotos an

Eindruck aus der neuen Ausstellung im „Günter Frank Haus“ in Neuenhaus. Foto: Baruch Chauskin

Ein neu eingerichtetes Gedenkhaus erinnert in Neuenhaus (Landkreis Grafschaft Bentheim) an die jüdischen Familien, die seit dem 17. Jahrhundert bis zur Zeit des Nationalsozialismus in der Stadt lebten. Günter Frank war das einzige jüdische Kind, das während des Nationalsozialismus im heute niedersächsischen Neuenhaus nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs. Im Alter von 16 Jahren wurde er 1944 in Auschwitz umgebracht. Seit dem 22. September 2024 trägt ein historisches Fachwerkgebäude in Neuenhaus seinen Namen. Darin befindet sich eine Dauerausstellung, die nicht nur an Günter Frank und seine Familie erinnert, sondern auch an alle anderen jüdischen Familien, die während der NS-Zeit aus der Stadt und umliegenden Ortschaften vertrieben, deportiert und ermordet wurden. Gäste sehen ein großformatiges Porträt des Jungen direkt zu Beginn der Ausstellung im „Günter Frank Haus“. Es soll darauf hinweisen, dass er und seine Familie ganz normale Mitglieder der Stadtgemeinschaft Neuenhaus waren – vor 1933.

Ausstellungsraum mit Infotafeln und einem großen Schwarz-Weiß-Porträt eines Jungen an der Wand

Ausstellungsraum im „Günter Frank Haus“ Neuenhaus mit Porträt des namengebenden Günter Frank. Foto: FotoGraf e.V. Grafschaft Bentheim

2012 hatte die Stadt Neuenhaus das Fachwerkgebäude aus dem 17. Jahrhundert gekauft. Es war damals stark sanierungsbedürftig, sollte aber für das Stadtbild erhalten werden. Die Stadt überließ das Haus dem 2015 gegründeten Förderverein „Günter Frank Haus“. Dessen Vorsitzende Christa Pfeifer und ihre Mitstreiter warben umfangreiche Fördermittel und Spendengelder für die Sanierung ein. Diese wurde Anfang 2024 abgeschlossen und anschließend die neue Dauerausstellung eingerichtet. Das Gebäude selbst steht nicht in Beziehung zur Familie Frank, wurde aber aufgrund seiner zentralen Lage in der Altstadt ausgewählt, um an die mehrhundertjährige Geschichte der jüdischen Familien des Ortes zu erinnern.

Zur Eröffnung des Gedenkhauses am 22. September 2024 reiste auch Klosterkammer-Präsidentin Dr. Thela Wernstedt nach Neuenhaus, denn die Klosterkammer hatte die Einrichtung der Ausstellung mit 68.000 Euro gefördert. Im Zuge ihres 200. Jubiläums 2018 hatte die Klosterkammer ihre Geschichte während der NS-Zeit untersuchen lassen. Dabei kam heraus, dass der Alltag in der Behörde umfassend nazifiziert war. Als symbolische Reaktion auf diese Erkenntnis legte die Klosterkammer ein Förderprogramm für die Gedenkstättenarbeit auf. Darin stellt sie über mehrere Jahre insgesamt eine Million Euro zur Verfügung, die die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten als Fördermittel vergibt, insbesondere für Vermittlungsangebote von Gedenkstätten für Kinder und Jugendliche. Ziel ist die Auseinandersetzung mit Verbrechen aus der NS-Zeit, damit diese auch in kommenden Generationen nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Programm erhielt der Förderverein „Günter Frank Haus“ die genannte Fördersumme. Weitere Förderer der neuen Ausstellung waren unter anderem die Niedersächsische Sparkassenstiftung, der Landkreis Grafschaft Bentheim und das Land Niedersachsen.

Eine Frau hält hinter einem Rednerpult stehend eine Rede. Vor ihr ein Mikrofon, links im Bild Blumenschmuck.

Klosterkammer-Präsidentin Dr. Thela Wernstedt sprach bei der Eröffnung des „Günter Frank Hauses“ ein Grußwort. Foto: FotoGraf e.V. Grafschaft Bentheim

Bei der feierlichen Einweihung mit rund 130 Gästen sagte Dr. Thela Wernstedt: „Zusammen mit anderen Förderern ist es gelungen, einen würdigen Ort des Gedenkens an die Verbrechen der Shoah, der Erinnerung an die jahrhundertealte Geschichte unserer jüdischen Mitbürger, der Begegnung und demokratischer Bildung zu schaffen. In Bezug auf die aktuelle politische Realität ist die Unterstützung eines solchen Projektes umso wichtiger.“ Neben den Grußworten von Vertreterinnen und Vertretern der anderen Förderer sorgten Baruch Chauskin, Kantor der jüdischen Gemeinde Osnabrück, und ein Ensemble der Musikschule Niedergrafschaft mit traditionell jüdischen Stücken für musikalische Begleitung.

Vier junge Musiker unter anderem mit Klavier, Akkordeon und einem Streichinstrument sitzen auf einer Bühne. Im Hintergrund steht eine Frau an einem Rednerpult.

Das Ensemble Flex spielte traditionelle jüdische Musik. Am Rednerpult Christa Pfeifer, Vorsitzende des Fördervereins „Günter Frank Haus“. Foto: FotoGraf e.V. Grafschaft Bentheim

In der Ausstellung im „Günter Frank Haus“ zeichnen Fotografien, Archivalien, alte Zeitungsmeldungen, Chroniken, Erzählungen von Zeitzeugen und Aussagen von Nachkommen der jüdischen Familien ein vielgestaltiges Bild jüdischen Lebens in Neuenhaus und Umgebung. Mit dokumentarisch belegten Beispielen ermöglicht die Ausstellung zudem die Auseinandersetzung mit den Methoden des NS-Regimes in der Stadt sowie mit den Themen Anpassung einerseits und Auflehnung und Widerstand andererseits. Die Ausstellung enthält verschiedene mediale und interaktive Elemente und ist barrierefrei gestaltet.

Künftig ist das Ausstellungshaus an jedem ersten und dritten Wochenende im Monat samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr geöffnet sowie wochentags nach Anmeldung für Schulklassen und Gruppen. Anmeldungen unter info@guenterfrankhaus.de oder Telefon 05941 9881580. (dr)