07.12.2015

Seltenes Zeugnis des spätmittelalterlichen Gottesdienstes

Restauratoren der Klosterkammer rekonstruieren Drehlade auf der Damenempore des Stiftes Obernkirchen

Metalldesigner Marcel Thiel aus Harsum und der freie Restaurator David Mühlenhaupt aus Asel setzen im Auftrag der Klosterkammer die Glastür an der Öffnung für die Drehlade ein (von links).
Foto: Dorothée Schraeder

Zu den vielfältigen historischen Monumenten, die das Stift Obernkirchen bewahrt, gehört eine bemerkenswerte Vorrichtung, die bei Restaurierungsarbeiten der Klosterkammer in den vergangenen Wochen auf der Damenempore des Stiftes freigelegt wurde: Es handelt sich um eine Drehlade, die im späten 15. Jahrhundert in die Ostwand der Empore eingelassen wurde.

Erhalten geblieben ist eine sorgfältig aus Sandstein gearbeitete schrankartige Öffnung. Aussparungen in deren Innerem nahmen ehemals die Achsen eines hölzernen Zylinders auf, der gedreht werden konnte. Um die Funktion der Drehlade wieder erlebbar zu machen, haben Restauratoren die verlorenen - ehemals hölzernen - Teile nun rekonstruiert. Unter Anleitung von Max von Boeselager, Restaurator bei der Klosterkammer Hannover, wurde ein Zylinder aus Glas geschaffen, der voll funktionstüchtig ist und sich dennoch als moderne Zutat zu erkennen gibt. Am 7. Dezember 2015 setzten der Metalldesigner Marcel Thiel und der freie Restaurator David Mühlenhaupt Glaszylinder und -tür ein. „Im norddeutschen Raum ist mir keine zweite Vorrichtung dieser Art bekannt“, sagte Max von Boeselager zur Bedeutung der Drehlade in Obernkirchen.

Ursprünglicher Anlass für den Bau der Vorrichtung war eine Problematik, mit der die Damen des Stiftes im späten Mittelalter konfrontiert wurden. Das Stiftskapitel bestand aus adligen Frauen, die aus der Sicht der Kirchenoberen ein zu freies Leben führten. Im Jahre 1490 setzte deshalb der Bischof von Minden nach einem früheren vergeblichen Versuch durch, dass die Damen fortan in strenger Klausur zu leben hätten. Kontakte zur Außenwelt wurden stark eingeschränkt. Es war ihnen nicht einmal mehr erlaubt, die in der Heiligen Messe gewandelten Hostien direkt vom Priester entgegen zu nehmen. Deshalb wurde ein kleiner Treppenturm an den Chor der Stiftskirche angebaut, der den Hochaltar mit der Damenempore verbindet. Von diesem Treppenturm aus konnte ein Behältnis mit den Hostien in die Drehlade gestellt werden. Nach einer halben Drehung war die Entnahme des Behältnisses von Seiten der Damenempore möglich. Die auf der Empore versammelten Frauen konnten so ohne persönlichen Kontakt zum Priester an der Eucharistiefeier teilnehmen.

Noch nicht endgültig geklärt ist die Funktion der rechteckigen Öffnung, die unterhalb der Drehlade das Mauerwerk durchbricht. Möglicherweise konnte den Damen durch diese Öffnung hindurch eine Paxtafel - ein mit Darstellungen Christi, Mariens oder Heiliger verziertes Täfelchen - oder ein Reliquienbehälter zum Kuss gereicht werden. (ri)

Ein Glaszylinder in einer Wand.

Ein Glaszylinder ersetzt den ehemals hölzernen Zylinder, und macht die Funktion der Drehlade wieder erlebbar.
Foto: Dorothée Schraeder